MOSFET als Schalter und die Wirkung des "Miller"-Effekts auf dessen Schaltzeiten

 

In vielen meiner Schaltungen setze ich MOSFET als Schalter ein. MOSFET sind Transistoren, deren Ansteuerung (vermeintlich) leistungslos durch Spannung erfolgt. Es gibt keinen "Basisstrom" wie bei bipolaren (normalen) Transistoren. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Typen: N-dotierte und P-dotierte MOSFETs. N-dotierte schalten bei positiver Gate-Source-Spannung (GS) durch, P-dotierte bei negativer GS-Spannung. Die Bezeichnung Gate, Drain, Source kommt der Bezeichnung Basis, Kollektor, Emitter bei bipolaren Transistoren nahe. 

Verwendet man einen bipolaren Transistor als Schalter, dann sorgt ein ausreichender Strom zwischen Basis und Emitter dafür, dass dessen Kollektor-Emitter-Strecke niederohmig wird und ein großer Laststrom fließt. Legt man beim MOSFET eine ausreichend hohe Gate-Source-Spannung an, so wird dessen Drain-Source-Strecke niederohmig und ein hoher Strom kann fließen. Statt einem Basis-Strom gibt es eine Gate-Spannung. Ein bipolarer Transistor beginnt zu leiten, wenn die Schwellspannung der Basis-Emitterstrecke erreicht wird (ca. 0,6V). Ein MOSFET-Gate muss über die sog. Schwellenspannung (Threshhold-voltage) kommen um zu leiten. Diese ist typabhängig.

Der Vorteil von MOSFET als Schalter ist der sehr geringe Drain-Source-Widerstand und dadurch bedingt eine geringe DS-Verlustleistung. Ein großer Nachteil sind die großen Gate-Source- und vor allem die Gate-Drain-Kapazität ("Miller"-Kapazität). Sie kann bei schnellen Schaltvorgängen enorme Schaltströme erforderlich machen. Dies wird im Folgenden thematisiert.

Das Schaltbild eines MOSFET mit den Kapazitäten, die systembedingt unvermeidlich sind zeigt Bild1. Bei Feldeffekt-Transistoren steuern elektrische Felder die Ströme. Elektrische Felder müssen aufgeladen bzw. entladen werden um an- oder auszuschalten, sie sind im Prinzip kleine Kondensatoren. Je höher die Strombelastbarkeit von MOSFETs, desto höher die Kapazitäten dieser Kondensatoren. In MOSFETs gibt es drei davon. Cgs zwischen Gate und Source, Crss, zwischen Gate und Drain und Cds. Im Datenblatt finden Sie die Bezeichnungen Ciss, Coss und Crss für die Kapazitäten eines MOSFET. Crss ist die Wichtigste davon. 

Bild 1 zeigt den MOSFET mit den parasitären Kapazitäten

Im Folgenden werden die speziellen Zusammenhänge und die Wirkung dieser Kapazitäten am Beispiel des Power-MOSFET IRF1404 erläutert.

 

Zustand 1: 

Der MOSFET ist aus. Die Spannung am Gate (Vgs) ist 0V Der Widerstand zwischen Drain (d) und Source (s) ist hochohmig, die Kapazität Crss list auf Vcc gegen Gate aufgeladen. Das Ersatzschaltbild eines ausgeschalteten MOSFET:

Wechsel zum Zustand 2 (ein), der "Miller"-Effekt schlägt zu:

Der MOSFET wird eingeschaltet. Zunächst steigt die Gate-Spannung an, denn Cgs wird über den Widerstand geladen. Die Schwellspannung Vgs(thr) ist aber noch nicht erreicht, d.h. es fließt noch kein DS-Strom. Folge - die DS-Spannung sinkt auch noch nicht. Ein paar ns weiter ist die Schwellspannung erreicht, der MOSFET beginnt langsam zu leiten. Bei steigender DS-Leitung sinkt logischerweise auch die DS-Spannung nach und nach ebenfalls. Wichtig - Crss wird im Maße dieses Sinkens der DS-Spannung umgeladen. Die ehemalige Spannung VCC wird mit fallender DS-Spannung abgebaut, zeitgleich lädt die langsam ansteigende Gate-Spannung Crss in umgekehrter Polarität auf. Die wirksame Crss-Ladespannung bildet sich aus der vorhandenen Crss-Spannung Vcc, welche umgeladen werden muss und der sich aufbauenden Spannung Vgs.

Da die Ladungsmenge Q, die in einen Kondensator passt, von dessen Kapazität und dessen Ladespannung abhängt, kann Crss aus Gate-Sicht sehr viel größer erscheinen als im Datenblatt angegeben. Denn - wie beschrieben - kann Crss an einer viel höheren Spannung liegen als Cgs (nämlich an Vds). Höhere Spannung = höhere Ladung. Wie wirkt sich das hier aus? Neben dem Aufladen von Cgs über die Gate-Spannung muss zunächst die Umladung von Crss und danach die Ladung von Crss auf Ugs erfolgen. Die dazu nötige Ladungsmenge wird durch den größeren Spannungshub an Crss sehr viel größer sein und damit seine wirksame Kapazität aus Gate-Sicht. Die Crss-Kapazität wird aus Gate-Sicht quasi "verstärkt". Crss wird zwar nicht wirklich größer, aber durch die gegenüber Vgs höheren Vds-Spannung wirkt sie - aus Sicht des Gates - viel größer als im Datenblatt angegeben. Die für die Gatespannung wirksame Kapazität Crss hängt also, neben dem Wert im Datenblatt, auch von der DS-Spannung ab. Das beschreibt der sog. "Miller"-Effekt. Der sinkende DS-Widerstand lädt Crss um, das lässt den Ladestrom vom Gate zunehmend in den Crss fließen, bis dieser umgeladen und auf Vgs gefüllt ist. Während Crss aufgeladen wird, steht weniger Ladung für Cgs zur Verfügung. Die Folge: Die Gate-Spannung verändert sich während der Aufladung von Crss fast nicht. Sie verharrt auf Schwellspannungsniveau (Vgs(th)). Erst wenn Crss vollständig umgeladen ist, kann sich Cgs weiter aufladen, die GS-Spannung steigen und der MOSFET vollends durchschalten.

Der MOSFET ist ein. Drain und Source sind kurzgeschlossen, Cds damit auch, er spielt keine Rolle mehr, Crss liegt parallel zu Cgs zwischen Vgs und 0V. Das Ersatzschaltbild:

Das relativ langsame Sinken der DS-Spannung bewirkt ein stetes Umladen des Crss mit relativ konstantem Strom. Die Gate-Spannung bleibt für diese Zeitspanne nahezu konstant. Im Diagramm aus dem Datenblatt unten ist dies verdeutlicht. Es bildet sich eine Art "Plattform", die von Crss und der sinkenden DS-Spannung abhängt. Das sog. "Miller-Plateau". Im Schaubild befindet es sich zwischen t1 und t2. Die Gate-Spannung verharrt auf t1-Niveau, bis Crss umgeladen wurde. Erst bei t2 ist das vollständige Durchschalten des MOSFET erreicht und die GS-Spannung kann weiter steigen.

Die DS-Spannung, Crss und die gewünschte Schaltgeschwindigkeit sind die wichtigsten Parameter zum Ausrechnen des Gate-Strom und damit des Gate-Widerstands.

Die Ladungsmenge Qgd beträgt zwischen t1 und t2 rund 40nC, genau wie im Datenblatt angegeben:

 

 

Überschlägige Berechnung des Gate-Vorwiderstands:

Wie man sieht, ist es nicht trivial, einen (Leistungs-) MOSFET anzusteuern. Am Beispiel des MOSFET IRF1404 mache ich dies exemplarisch deutlich. Der IRF1404 hat laut Datenblatt einen Crss von 240pF (Prämisse: bei 25Vds!):

Angenommen, Crss wäre für alle DS-Spannungen konstant (was sie leider nicht ist). Angenommen, die Steuerspannung für den MOSFET stammt von einem Arduino (5V, <=20mA). Angenommen, die geschaltete Spannung (Vds) sei 12V. Angenommen, die maximale Ein- und Ausschaltzeit sei jeweils <= 1/4 µs, Angenommen, die Wirkdauer wäre 90% der Ein/Ausschaltzeit, dann ergäbe das 5µs für eine Halbwelle und 10µs für eine Periode. Die maximale Schaltfrequenz läge in diesem Beispiel bei 100kHz:

16mA sind viel für einen Arduino. Müsste aber funktionieren. Der Gate-Widerstand wäre:

Nun ist der Wert von Crss von Vds abhängig (bei Vgs von 0V spielt der beschriebene Miller-Effekt noch keine Rolle):

Schaut man für unser Beispiel ins Datenblatt bei 12Vds kann man für Crss eine Kapazität von rund 300pF ablesen. In die Formel eingesetzt verändert sich der Wert von Rg:

 

 

Soweit ich weiß kann ein Arduino etwa 20mA liefern ohne Schaden zu nehmen. Das heißt, dass die Schaltzeiten unseres Beispiels direkt am Arduino gerade noch eingehalten werden. 

Praxis

Da für Bastelprojekte für den IRF1404 von DS-Spannungen zwischen 9 und 24V ausgegangen werden kann, würde ich fürs Beispiel den Wert für 9V nehmen. Das sind laut Diagramm etwa 400 - 500pF. Damit wird der Widerstand etwa 220 Ohm betragen (ein Standard-Wert). Sollte passen. Wenn man auch mit 0,5µs Schaltzeiten zufrieden ist, kann ein Arduino den MOSFET gerade noch direkt ansteuern.

 

Warum überhaupt ein Gatewiderstand? EMV!

Warum nicht gleich direkt an einer starken Spannungsquelle anschließen, die viele Amperes liefern kann? Dann ist Crss ratzfatz umgeladen und das Miller-Plateau spielt keine Rolle mehr. Leider gibt es beim schnellen Schalten noch einen Effekt, der durch elektromagnetische Abstrahlungen und Spannungsripple Rückwirkungen auf andere Bauteile (wie insbesondere Microcontroller) erzeugen kann. Die "EMV" - die "Elektromagnetische Verträglichkeit". Beispiel "Ripple": Beim direkten Ansteuern fließen sehr hohe Ströme, weil der Gatestrom für Nanosekunden einen Kurzschluss darstellt. Die Steuerspannung bricht ein. Der Arduino kann dadurch abstürzen. 

Zudem wird beim direkten Anschluss der Schaltimpuls am Gate reflektiert, was zu elektromagnetischen Abstrahlungen führen und ebenfalls Rückwirkungen auf die benachbarten Bauelemente haben kann. Der MOSFET kann zum Sender werden.

Schlusswort

Im ersten Satz dieses Artikels hatte ich geschrieben, dass MOSFETs "vermeintlich" leistungslos geschaltet werden. Nun ist klar, was ich mit "vermeintlich" meinte. Die parasitären Kapazitäten - vor allem Crss, verbrauchen Ladeleistung. Im 300pF-Beispiel sind das bei einem Rechtecksignal mit 50% Duty Cycle: P = U * I / 2 => P = 5V * 20mA * 0,5 = 50mW Leistungsbedarf zum Ansteuern. Das ist nicht ganz leistungslos. Leistungslos stimmt zunehmend, wenn abnehmend oft geschaltet wird, z.B. bei Relais.